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WorkNew@leibniz
    Glossar
    Sieben Personen gehen verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten nach.

    Wie New Work die Wissenschaft bereichern würde – Eine Analyse

    • Illustration

      Chia-Wen Hsieh

    Anders als in anderen Branchen spielen New-Work-Konzepte im Wissenschaftssystem bisher noch keine große Rolle. Warum ist das so? Könnte die Forschung von neuen Arbeitsformen profitieren? Eine Bestandsaufnahme und Ideen zur Integration von New Work.

    Durch die Brille von New Work betrachtet, lässt sich in der Wissenschaft vielfach eine durch konservative Prinzipien geprägte Arbeitskultur beobachten, die sich etwa in klaren Hierarchien, in Einzelarbeit oder klassischen Karrierewegen manifestiert. Die Frage ist, ob es die neuen Ansätze von New Work braucht, um ein solches System für zukünftige Aufgaben zu wappnen. Aus der Organisationstheorie wissen wir, dass sich Organisationen nur verändern, wenn ihr Überleben auf dem Spiel steht oder wenn die Zukunft eine so verheißungsvolle Anziehungskraft hat, dass sie wie von selbst zu Veränderungen führt. Welche Probleme in der Wissenschaft lassen sich also mit den Prinzipien von New Work lösen?

    Ein Aspekt ist der Output der Wissenschaft: Um Antworten auf drängende Fragen zu finden, müssen Wissenschaftler:innen zunehmend inter- und transdisziplinär arbeiten und an Transformationsprozessen mitwirken. Das bedeutet auch, dass sich das System öffnen muss. Dazu kommt die Sorge, ob die Wissenschaft für eine junge Generation noch attraktiv und inspirierend genug ist. Die wachsende Diskussion um die mentale Gesundheit von Wissenschaftler:innen in jungen Karrierephasen 1 ist nicht nur Ausdruck der Unzufriedenheit mit prekären Arbeitsverträgen und einer Überforderung in einer immer komplexer werdenden Welt. Man kann darin auch einen Widerspruch sehen zwischen den eigenen Werten und Arbeitsweisen und denen des Wissenschaftssystems. Wie eine Umfrage im Leibniz-Postdoc-Netzwerk ergab, haben junge Wissenschaftler:innen das Bedürfnis nach Sicherheit und Sinnstiftung, aber auch danach, mehr Freiheit und Vielfalt in der Gestaltung ihres Lebenswegs in Anspruch nehmen zu dürfen und ihr ganzes Potenzial zu entfalten. 2

    Wie viel New Work steckt bereits in der Wissenschaft?

    Wer sich mit der Arbeitskultur in der Wissenschaft näher beschäftigt, stellt fest, dass sie nicht in allen Punkten den Prinzipien des „neuen Arbeitens“ widerspricht. Und auch nicht in allen Bereichen wäre es sinnvoll, sie einzuführen. Eine Bestandsaufnahme zeigt, wie viel New Work bereits in der Wissenschaft steckt und wo ein Update der Arbeitsmodelle weiterhelfen könnte:

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    Führung & Hierarchie

    Einerseits lebt die Wissenschaft vom Nimbus der Freiheit, von Offenheit und Diskussionskultur. Gleichzeitig ist sie jedoch geprägt von klaren Hierarchien, basierend auf der Lehrstuhl-Tradition: Jüngere Wissenschaftler:innen sind extrem abhängig von höhergestellten. Es sind die Professor:innen, die die höchste Autorität besitzen – und die reale Macht. Sie entscheiden in der Regel über das Fortkommen ihrer Mitarbeitenden. Ein solches hierarchisches Organisationsmodell erschwert die interdisziplinäre Teamarbeit und hindert jüngere Kolleg:innen daran, notwendige Führungskompetenzen zu erwerben. Ein weiterer Punkt ist, dass Führungskräfte in der Wissenschaft überwiegend nicht deshalb zu Führungskräften geworden sind, weil sie gut führen, sondern weil sie gut forschen bzw. sich im Wissenschaftssystem gut durchsetzen konnten. 3 Das bedeutet, dass die wissenschaftliche Autorität auch über die Art der Führung und Zusammenarbeit im Wissenschaftssystem entscheidet. An Schulungen im zeitgemäßen Management, in der Personalentwicklung und Teambildung nehmen Professor:innen hingegen nur selten teil. Ziel müsste es sein, den konservativen Führungsstil zu überwinden – zugunsten von Zusammenarbeit, Wertschätzung, und Lösungsorientierung.

    Kollaboration & Kommunikation

    In der Wissenschaft werden Ideen üblicherweise in Einzelarbeit entwickelt oder indem man sich auf eher traditionell strukturierten wissenschaftlichen Konferenzen in Vorträgen und Diskussionen austauscht. Kollaborative Kreativitätstechniken wie , die das Konzept New Work vorsieht, spielen keine Rolle. Zwar sind wissenschaftliche Paper in der Regel das Produkt von mehreren Autor:innen, entsprechende Methoden für Co-Kreation und gemeinschaftliche Prozesse fehlen aber weitgehend. Das klassische Kommunikationsmedium ist in der Regel das „Dokument“, in dem sequenziell – und nicht synchron – gearbeitet wird. Agiles Arbeiten mit Zwischensprints gilt eher als Dauerüberlastung und weniger als Managementtool. Prinzipiell würde man sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wünschen, doch stehen dem noch viele strukturelle und methodische Hürden entgegen.

    Purpose & Sinnstiftung

    Traditionell identifizieren sich Wissenschaftler:innen stark mit ihrer Arbeit und empfinden sie als sinnvoll. Dieser Aspekt von New Work ist ihnen also nicht neu. Das gilt allerdings vor allem für die Forschung innerhalb ihrer Arbeitsgruppe, weniger für eine gemeinsame Ausrichtung der Organisation oder bezogen auf einen gesellschaftlich relevanten Anspruch. Wissenschaftseinrichtungen fällt es oft schwer, eine gemeinsame inhaltliche Forschungsmission zu entwickeln und insbesondere, ihren Mitarbeitenden übergeordnete Ziele zu vermitteln und sie auch umzusetzen.

    Diversität

    Diversität – bezogen auf Internationalität und Geschlechtergleichstellung – wird mittlerweile an jeder Universität und Forschungsinstitution gefördert. Doch folgen wissenschaftliche Prozesse nach wie vor akademischen Hierarchien. Wie Friederike Otto gezeigt hat, ist das Wissenschaftssystem von westlichen Denkweisen und Strukturen geprägt 4 – könnte jedoch profitieren, wenn diverse Sichtweisen Eingang in die Aufgabendefinition und Produktion von Wissen finden würden. Auch fehlt in der Personalentwicklung oft eine Offenheit für andere Lebensläufe.

    Emotionen & Intuition

    Aspekte wie Intuition oder Achtsamkeit, die durch die Konzepte von New Work immer mehr an Bedeutung gewinnen, 5 werden im evidenz- und faktenorientierten Wissenschaftssystem normalerweise nicht explizit als wichtige Kompetenzen erwähnt oder in Auswahlprozesse einbezogen. Im Gegenteil, eher werden sie in einer Welt der kognitiven Neuerungen sogar abgewertet. Dazu gehört auch die emotionale Intelligenz, die etwa in der Personalführung und für eine positive eine wichtige Rolle spielt.

    Ideen für mehr New Work

    Wie wir gesehen haben, werden die Ansätze von New Work in der Wissenschaft bisher kaum berücksichtigt – selbst in Bereichen, in denen sie hilfreich wären. Welche Möglichkeiten gibt es, New Work ins Wissenschaftssystem zu integrieren? Und wie ließe sich davon profitieren? Eine Ideensammlung.

    Dual Leadership

    Muss es immer das klassische Modell der einen zentralen Leitungsperson sein? Mit zwei Führungskräften lassen sich möglicherweise verschiedene Kompetenzen abdecken, und beide könnten individuell mehr forschen und gleichzeitig eine Arbeitsgruppe oder einen Programmbereich leiten. Für manche wäre es auch möglich, Familie und eine Führungsposition in bestimmten Lebensphasen besser zu vereinbaren. Eine Doppelspitze erleichtert es nicht nur, Ziele wie mehr Diversität und Inklusion zu erreichen, sie könnte auch die Führungsarbeit verbessern.

    Offenheit für unorthodoxe Karrierewege

    Das System selektiert in erster Linie Personen, die den klassischen akademischen Weg gehen und sich voll und ganz auf die Forschung im engeren Sinne fokussieren. Doch gerade diejenigen, die auch neugierig und offen in andere Richtungen blicken, können die Wissenschaft bereichern – deshalb sollte das bewusste „Springen“ zwischen Tätigkeiten in der Wissenschaft und in anderen Branchen bei Stellenbesetzungen honoriert werden.

    Inter- und transdisziplinäre Strukturen

    Schon seit Längerem gibt es in der Wissenschaft verschiedene Strategien, um die Interdisziplinarität und Transdisziplinarität zu fördern, gerade auch in der Leibniz-Gemeinschaft. Dennoch sind vor allem die universitären Strukturen oft behäbig und verändern sich nur langsam – außeruniversitäre Forschungseinrichtungen könnten hier Schrittmacherdienste leisten. Es geht um einen Systemwandel, der auch Training und Experimente in größeren Einrichtungen erfordert, wie etwa interdisziplinäre Fakultäten mit Promotionsrecht. Letztlich könnten „Multiversitäten“ (Andy Haldane) 6 an die Stelle der klassischen Universitäten treten, wo neben der klassischen Ausbildung im Erststudium auch Weiterbildungen möglich sind und neue Ansätze spielerisch-experimentell getestet werden können.

    Pool-Lösungen für Postdocs

    Immer noch ist es üblich, junge Wissenschaftler:innen bestimmten Arbeitsgruppen oder Lehrstühlen zuzuordnen. Würde es der/dem Einzelnen nicht mehr kreative Freiheit geben, wenn sie/er sich unabhängiger entwickeln könnte, eingebettet in ein Netzwerk aus Mentor:innen? Eine solche Aufweichung der klassischen Hierarchiestrukturen sollte dann aber auch bedeuten, dass Leistungen fluider erbracht werden können und gemessen werden.

    Neue Bürokonzepte

    An Universitäten dominieren noch die traditionellen Zellenbüros, angelehnt an die Arbeitszellen der Mönche, die einen geschlossenen Raum für Bücherwände, Ruhe, Konzentration – und Status – bieten. Hier manifestieren sich das Hierarchiegefüge und auch eine fragmentierte, oft isolierte Art der Zusammenarbeit. Angesichts der hohen Mobilität und zunehmenden Digitalisierung der Wissenschaft wäre ein Bürokonzept, das mehr geteilte Tische und Räume ermöglicht, zeitgemäßer. Ein offenes Konzept kann den Austausch und die Gemeinschaft fördern und gleichzeitig ein Ort der Ruhe und Konzentration sein – im Sinne einer Bibliothek.


    Es stellt sich die Frage, welche Rolle die Wissenschaft angesichts der disruptiven Veränderungen und des gewaltigen gesellschaftlichen Transformationsbedarfs einnehmen möchte. Werden sich die Bewertungsmaßstäbe weg vom klassischen „publish or perish“ hin zu mehr Impact verändern? Mit der Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA), ein Zusammenschluss von Forscher:innen, die eine Vereinbarung zur Reform wissenschaftlicher Bewertungskriterien auf den Weg gebracht hat, zeichnen sich neue Allianzen für eine Wissenschaft mit besserer Arbeitsorganisation ab. Dies sollte auch die Überlegungen zu New Work in der Wissenschaft beflügeln.

    Footnotes

    1. Hall, Shannon (2023). The Mental-Health Crisis in Science. In: Nature, Nr. 617.

    2. Fiedler, Daniela,Thomas Lösch, Gitta Heinz et al. (2022). Who are Leibniz PostDocs and what is it like to work at a Leibniz institute? Report of the first Leibniz PostDoc Survey 2020. www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-83394-4.

    3. Glatzel, Katrin, Heiko Hilse, Tania Lieckweg und Simone Ostermann (2023). Leadership in Science. Studie der OSB International. www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/%C3%9Cber_uns/Karriere/Akademie/Leadership-in-Science_osb_2023.pdf.

    4. Otto, Friederike (2022). Unlearn Wissenschaft. In: Jaspers Lisa, Naomi Ryland und Silvie Horch (Hg.). Unlearn Patriarchy, Berlin, S. 91–110.

    5. Breidenbach, Joana und Bettina Rollow (2019). New Work needs Inner Work, München.

    6. Haldane, Andy. Better education, better productivity (2022). www.royalsociety.org/blog/2022/06/envision-andy-haldane.