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    „Jetzt begreifen die Menschen zum ersten Mal, was ein Raum leisten kann“

    • Illustration

      Citizen Office / James Irvine, © Studio Irvine

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    Wie gestaltet ein Büromöbelhersteller die eigenen Büros und auf welche Trends setzt er? Die WorkNew-Arbeitsgruppe besuchte das Citizen Office von Vitra in Weil am Rhein und sprach mit Pirjo Kiefer, Leiterin des Consulting & Planning Studios, über Vitra-Büros, Einflüsse des Lockdowns und das neue Interesse am Raum.

  • Petra Schmidt: Wie ist Ihr aktuelles Büro entstanden, das Sie Citizen Office nennen?

    Das Citizen Office geht auf das Jahr 1993 zurück. Rolf Fehlbaum, unser früherer Geschäftsführer, hat es initiiert, als er die Zukunft mit Laptops und anderen digitalen Technologien kommen sah. Damals hatte ich noch kein Handy und keinen Computer auf dem Schreibtisch, aber er hatte schon diese Vision, dass sich das Büro mit dem Einzug der digitalen Geräte verändern muss. Er berief einen Workshop mit den italienischen Designern Andrea Branzi, Ettore Sottsass und Michele De Lucchi ein. Die drei waren mit dem sogenannten Radical Design und Memphis bekannt geworden und standen für kompromisslos innovative Ideen.

  • Und warum der Name Citizen Office? Was hat der Bürger, die Bürgerin mit dem Büro zu tun?

    Aus diesem Workshop ging die Erkenntnis hervor, dass ein Büro ähnlich wie eine Stadt oder Landschaft funktioniert. Es gibt verschiedene Bereiche, die unterschiedlich genutzt werden können, und die Nutzer:innen – als mündige Bürger:innen – wählen aus, welcher Ort für welche Arbeit am besten geeignet ist. Diese Grundidee wurde in Form einer Landkarte dargestellt, die schon viele Dinge enthielt, über die wir heute noch sprechen, etwa ein Restaurant, verschiedene Gärten oder eine Coffee Zone, aber auch Flexibilität, Wohnlichkeit und selbstbestimmtes Arbeiten waren damals schon Thema.

  • Wie ging es weiter?

    Der Wendepunkt kam, als Rolf Fehlbaum die Innenarchitektin Sevil Peach kennenlernte. Sevil ist sehr menschenorientiert und möchte im Büro einen Ort schaffen, an dem sich die Nutzer:innen rundum wohlfühlen und alle ihre Bedürfnisse erfüllt sehen. Die Entwicklung durchlief verschiedene Stadien, vom New Office über das Network Office bis hin zum Citizen Office.

  • Erzählen Sie uns doch etwas von dieser Reise.

    Der große Schritt fand bereits im Jahr 2000 statt. Damals wurden die alten Cubicles abgerissen, zugunsten einer offenen, vielfältigen Arbeitsumgebung. Unter dem Titel New Office entstand dann inspiriert vom Bild der Stadt ein Büro, das Wohn- und Arbeitsatmosphäre miteinander verband. Das war der erste Meilenstein, zu dem eine Cafeteria und eine wohnlich eingerichtete Bibliothek ebenso gehörten wie Einzel- und Gruppenarbeitsplätze. Mit dem Tisch Joyn der Bouroullec-Brüder kam 2002 der nächste Anstoß. Der Tisch steht für Gemeinschaft, wie sie eine Familie oder Gäste am Küchentisch haben, aber garantierte auch den schnellen Informationsaustausch, der damals schon ein großes Thema war. Joyn entstand im Rahmen des Network Office mit dem expliziten Ziel, Kommunikation und Wissensaustausch am Arbeitsplatz zu fördern. Quasi als Gegenspieler zu diesem sehr offenen Konzept entwarfen die Bouroullecs dann 2006 ihr Alcove-Sofa, die hohen, gepolsterten Lehnen sorgen für Privatsphäre, ohne dass man sich ganz von der Außenwelt abkapselt.

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    Network Office im Jahr 2000: Die frühen Jahre der Kollaboration

  • Wie oft bauen Sie Ihre Büros um? Und warum?

    Wir bauen etwa alle vier Jahre um. Wir sind Büromöbelhersteller und haben natürlich den Wunsch, unsere Möbel zu testen und mit ihnen zu leben. Auf der anderen Seite sind wir aber auch ein ganz normales Unternehmen mit Arbeitsabläufen und Anforderungen, die sich von Zeit zu Zeit ändern. Bei unserem Umbau zum Citizen Office im Jahr 2010 haben wir unseren Workflow anhand der Arbeitsplätze abgebildet. Von links nach rechts: Auf der linken Seite saßen alle, die mit dem Vertrieb zu tun hatten, dort kamen die Kundenaufträge rein, die dann bearbeitet wurden. Auf der anderen Seite war die Produktion. Die Aufträge gingen von links nach rechts durch das Büro und dann weiter in die Fabrik.

    Im Jahr 2018 haben wir dann noch einmal umstrukturiert, weil die Projektarbeit stärker in den Vordergrund gerückt ist. Wir haben Teams aus verschiedenen Abteilungen zusammengestellt, je nachdem wie sie in Projekten zusammenarbeiteten.

  • Wie geht man eigentlich an eine solche Planung heran?

    Wir als Planer:innen verstehen das Büro als Bühne. Und wie eine Bühne ist der Raum zunächst ein leerer Ort, den es zu bespielen gilt. Ähnlich wie beim Bühnenbild stellen wir zuerst die Tischlerarbeiten und die Wände auf und überlegen, wie wir den großen Raum gliedern und auf ein menschliches Maß bringen können, damit sich die Menschen wohlfühlen. Unser Büro in Weil am Rhein ist trotz der Umbauten sehr nachhaltig, denn in seiner Grundstruktur haben wir es in den letzten 24 Jahren nicht geändert. Was sich aber geändert hat, sind die Möbel und die Anzahl der Mitarbeitenden. Hatten wir im Jahr 2000 noch 90 Plätze für 90 Personen, so sind wir heute auf der gleichen Fläche bei 120 Plätzen für 168 Personen angelangt. Das zeigt, wie sehr sich die Arbeitswelt verändert hat und wie wichtig es ist, dass die Struktur „atmen“ kann.

  • Die Corona-Pandemie muss ein großer Einschnitt gewesen sein.

    Ja, für uns als Büromöbelhersteller war der Lockdown erst mal ein Schock. Wir haben uns gefragt, was wir machen, wenn die Leute nicht mehr ins Büro zurückkehren. Das war schon beunruhigend. Aber bereits im Juli 2020 ist unsere Geschäftsführerin Nora Fehlbaum auf mich zugekommen, weil sie gemerkt hat, dass sich trotz Lockdown eine kleine Gruppe regelmäßig im Büro in Birsfelden traf, diesen Mitarbeitenden fehlte der Austausch und das Soziale. Diese Beobachtung hat uns schließlich zum Club Office inspiriert. Ein Büro, das wie ein Club oder ein Verein funktioniert. Wenn ich zum Beispiel rudere, dann brauche ich den Verein, um mir ein Boot zu teilen oder um mich über meinen Sport auszutauschen. Und in ähnlicher Weise sorgt das moderne Büro für die wichtige soziale Ebene und stellt die Technologie für den Austausch bereit. Wir haben die Bürostruktur entsprechend angepasst, um die hybride Arbeitswelt zu unterstützen.

  • Normalerweise spielt hier die Sensibilisierung eine große Rolle. Die Mitarbeitenden müssen erst an die neuen New-Work-Konzepte wie Open Space, flache Hierarchien etc. herangeführt werden. War das auch ein Thema bei Ihnen?

    Ehrlich gesagt: Wir müssen unsere Mitarbeitenden nicht mehr überzeugen. Im Open Space sitzen wir schon lange. Aber die Sensibilisierungsphase ist wichtig, wenn wir mit Kunden arbeiten. Viele Kunden kennen New Work als Schlagwort, wissen aber nicht, was das konkret für ihre Unternehmenskultur bedeutet. Nur wenn der Kulturwandel als solcher verstanden wird, kann er auch räumlich dargestellt werden. Deshalb ist die Sensibilisierung so wichtig. In dieser Phase zeigt uns der Kunde, was er unter der neuen Arbeitswelt versteht, und gleichzeitig präsentieren wir unsere Philosophie. Und dann spürt man schnell, ob man zusammenpasst oder nicht.

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    Club Office: Rückzugsmöglichkeiten trotz Open Space

  • Im Idealfall sitzt dann das Management mit den Mitarbeitenden im Open Space, oder? Wie macht das die Geschäftsführung von Vitra?

    Tatsächlich sitzt unser Vertriebsvorstand Roman Ehrhardt in Weil am Rhein mit im Open Space. Und Nora Fehlbaum geht noch einen Schritt weiter. In Birsfelden sitzt sie im Erdgeschoss, direkt am Eingang. Jede:r kann sie schon bei der Ankunft im Büro sehen. Sie hat sich bewusst dafür entschieden, denn sie will mitbekommen, was tagtäglich passiert. Natürlich gibt es auch Rückzugsräume für vertrauliche Gespräche, aber wenn wir über Kundensensibilisierung sprechen, hinterlässt gerade dieses Bild immer einen großen Eindruck.

  • Heißt das, man muss den Wandel vorleben?

    Ich glaube, dass Nora ein Zeichen setzt – für eine besondere Kultur, für flache Hierarchien und Ansprechbarkeit. Und das kommt an.

  • Wie gehen Sie als Möbelhersteller mit dem Thema Medientechnik um?

    Wir haben uns beim Club Office dafür entschieden, dass wir keine Monitore dauerhaft in unseren Räumen haben möchten. Wenn irgendwo ein Bildschirm hängt, lenkt er ab. Wir wollen, dass der Raum den Menschen gehört, die sich dort aufhalten. Natürlich haben wir Bildschirme, die bei Bedarf hereingefahren werden können, zum Beispiel auf unseren mobilen Wänden, den Dancing Walls.

  • Gibt es Raumkonzepte, die zurzeit besonders im Fokus stehen? Welche Trends erkennen Sie?

    Wir identifizieren etwa fünf bis sechs wesentliche Bereiche, die für moderne Arbeitswelten entscheidend sind. Dazu gehört zum Beispiel das „Welcoming“, also die Art und Weise, wie Menschen empfangen werden, wenn sie das Büro betreten. Ein weiterer Bereich ist die Förderung der Kollaboration: Welche Angebote und Räume braucht es, um eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen? Auch Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig, sowohl für konzentriertes Arbeiten als auch für hybride Konferenzen und vertrauliche Gespräche. Darüber hinaus spielt kontinuierliches Lernen eine wichtige Rolle, nicht nur im Sinne von physischen Räumen, sondern auch in Bezug auf die Gestaltung der Bürolandschaft insgesamt.

  • Was unterscheidet die Bürokonzepte von Vitra von denen Ihrer Kunden?

    Nichts. Wir bekehren ja alle. (lacht) Eigentlich erleben wir gerade einen tollen Moment: Denn vor der Pandemie wurde den Räumen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aber spätestens im Lockdown hat man gemerkt, dass etwas fehlt, wenn man sich nicht mehr im Büro trifft. Der fehlende Austausch war geradezu geschäftsschädigend, und so wurde der Raum als zentrale Komponente sichtbar. Es ist doch so: Die Mitarbeitenden fahren eine Stunde zur Arbeit, verschwinden in einem Zellenbüro und fragen sich: Warum bin ich eigentlich so weit gefahren, wenn ich hier doch nur alleine sitze? Und das macht diesen Moment für uns als Planer:innen so wichtig. Denn jetzt begreifen die Menschen zum ersten Mal, was ein Raum leisten kann.