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WorkNew@leibniz
    Glossar
    Eine Person öffnet eine Tür in sich selbst.

    Inner Work: Die Kraft der inneren Entfaltung

    • Illustration

      Rosa Viktoria Ahlers

    Um kreativ und resilient zu bleiben, müssen Wissenschaftseinrichtungen mehr als nur die kognitive Exzellenz ihrer Mitarbeitenden fördern, sondern auch einen bewussten Umgang mit Emotionen und der inneren Welt als Kraftquelle ermöglichen. Welches Umfeld und welche Methoden sind geeignet?

    Wissenschaftsorganisationen sind derzeit einem Transformationsprozess ausgesetzt, bei dem nicht mehr nur die bisher üblichen Kernkompetenzen, sondern die gerade für kognitiv geprägte Wissenschaftler:innen oft befremdliche Welt der Intuition oder der eigenen Gefühle eine wesentliche Rolle spielen werden. Wenn sich die Veränderungen nur auf äußere Strukturen beziehen, den Abbau von Hierarchien und schicke Möbel, lassen sich die Prinzipien von New Work nicht etablieren. In ihrem Buch New Work needs Inner Work (2019) argumentieren Joana Breidenbach und Bettina Rollow, dass auch ein innerer persönlicher Reifungsprozess notwendig ist, der es Menschen ermöglicht, sich und andere im Arbeitskontext emotional wahrzunehmen.

    In einer Welt der Polykrise – von Corona über den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zu rechten Gesinnungen und Fachkräftemangel – und der gesteigerten Komplexität und Geschwindigkeit sind Resilienz und Wandlungsfähigkeit nicht nur von wissenschaftlichen Einrichtungen, sondern auch von jeder:m Einzelnen gefordert. Oft sind Entscheidungen mit erheblichen Unsicherheiten und Komplexität behaftet („Gibt es hier ein Richtig oder Falsch überhaupt?“). Wenn sich auf der kognitiven Ebene keine klaren Antworten finden lassen, bedarf es der emotionalen Fähigkeit, Uneindeutigkeit zu akzeptieren und alternative Wissensquellen wie die Intuition zu erschließen. Das Vertrauen in Intuition und emotionale Intelligenz fällt Menschen und Organisationen, die auf kognitives, faktenbasiertes Wissen spezialisiert sind – wie es bei Wissenschaftsorganisationen der Fall ist – jedoch oft schwer.

    Das Eisbergmodell zur Übung der Selbstklärung

    Schematische Illustration eines Eisberges mit Beschriftungen. Über der Wasserlinie: Verhalten, darunter: Gefühle, Gedanken, Werte, Bedürfnisse.

    Es zeigt sich, dass das von außen wahrnehmbare Verhalten nur die kleine sichtbare Spitze des Eisbergs darstellt. Darunter liegen Gefühle, Gedanken und Werte, die das Verhalten bestimmen.

    Eine Übung: Nehmen Sie eine Situation oder einen Konflikt, der Sie gerade belastet und den Sie besser verstehen möchten. Nutzen Sie dazu am besten ein Blatt Papier und einen Stift.

    • Schreiben Sie zunächst auf, welches Verhalten Sie beobachten. Was macht die andere Person, was machen Sie?
    • Dann fragen Sie sich: „Wie fühle ich mich?“, „Welche Gedanken habe ich?“. Zum Beispiel: „Ich fühle mich verunsichert, wenn die Person nicht mit mir spricht“, „Ich glaube, sie findet meinen Beitrag zum Meeting sinnlos“ oder „Ich vermute, sie ist immer noch sauer auf mich“. Diese Herangehensweise schafft schon etwas Klarheit.
    • Als Nächstes geht es um Ihre Bedürfnisse, die in dieser Situation möglicherweise zu kurz kommen. Zum Beispiel: „Wenn Person X nach dem Meeting nicht mit mir spricht, ist mein Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht erfüllt“, „Da ich dieses Verhalten nicht einordnen kann, ist auch mein Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt“. Oder: „Mein Bedürfnis nach Selbstausdruck wird verletzt, wenn andere mir nicht zuhören“.

    Quelle: Nadjeschda Taranczewski, www.managerseminare.de

    Noch einen Schritt weiter geht die Forderung, den Menschen beim Arbeiten ganzheitlich zu verstehen (Frithjof Bergmann, 2004). Im Sinne des „Eisbergmodells“ (siehe Illustration, Nadjeschda Taranczewski, 2017) heißt das, dass nicht nur das nach außen wahrnehmbare Verhalten zählt, die sichtbare Spitze, sondern dass die darunterliegenden Gedanken, Gefühle, Werte und Bedürfnisse unser Verhalten prägen. Wer sich dieser Faktoren bewusst wird – bei sich und bei anderen –, der findet zu einer inneren emotionalen Klarheit, die wichtig ist, um den Blick auf die Zukunft zu richten und neue Lösungen zu suchen. „Fühlen ist das neue Führen“, titelte die Zeitschrift Neue Narrative – Das Magazin für neues Arbeiten bereits 2018 und argumentiert, dass der bewusste und produktive Umgang mit den emotionalen Kraftquellen eine der entscheidenden Zukunftskompetenzen ist. Für Führungskräfte bedeutet das, zunächst selber ihre Innenwelt zu erkunden und dann ein Umfeld zu schaffen, das es auch ihrem Team und dem Institut ermöglicht, diese emotionale Ebene in den Arbeitskontext einzubeziehen.

    Was hat das nun mit Wissenschaftsorganisationen und ihren Transformationsprozessen zu tun? Wissenschaft basiert noch mehr als andere Branchen auf kognitiver Exzellenz. Die Intuition und Gefühle haben darin oft keinen Platz und keine Rechtfertigung. Gleichzeitig geht eine „mental health crisis“ in der Wissenschaft um, wie die Zeitschrift nature konstatiert. Und das lässt zumindest vermuten, dass es ein Bedürfnis, ja eine Sehnsucht gibt, andere Werte und Arbeitsweisen zu leben. Wenn wir annehmen, dass der Zugang zur Intuition und zu den eigenen Gefühlen neue Lösungsräume erschließt, ist die Frage: Wie können Forschungsinstitute Gefühlen mehr Raum geben? Die folgenden Tools dienen dazu, diese inneren Räume zu öffnen – für die es aber auch reale, äußere Räume braucht.

    Innere Räume

    Einfache Werkzeuge wie Check-ins und Check-outs können die Arbeitskultur in einem Institut oder einem Team verändern und Emotionen eine größere Rolle einräumen. Anfangs mögen sie ungewohnt sein, doch die ersten Minuten prägen den Ton eines Meetings und machen es effizienter und lebendiger.

    • Check-in: Die Check-in-Methode ermöglich einen bewussten Start ins Meeting. Jede:r einzelne Teilnehmende teilt kurz (maximal eine Minute) ihre:seine emotionale Situation oder das, was sie:ihn gerade ablenkt – angelehnt an den Helikopter-Check-in von Shell. Die Gruppe sollte empathisch und aufmerksam und ohne zu unterbrechen daran teilhaben. Leitfragen: Wie geht es mir? Was habe ich heute schon erlebt? Was bindet noch meine Aufmerksamkeit?
    • Check-out: Ähnlich dem Check-in schließt das Meeting mit einer kurzen Runde, in der jede:r sagt, wie sie:er aus dem Meeting geht, was geklärt oder noch offen ist. Dies ist eine gute Möglichkeit, um über Übersehenes zu sprechen.
    • Das Eisbergmodell als Übung zur Selbstklärung: Die Illustration veranschaulicht, dass das von außen wahrnehmbare Verhalten nur die kleine Spitze darstellt, die sichtbar ist. Darunter sind die Gefühle, Gedanken und Werte, die das Verhalten eigentlich bestimmen. In einem Konflikt oder einer unangenehmen Situation kann das Modell dabei helfen, sich selbst und andere zu reflektieren und die jeweilige Situation besser zu verstehen.
    • Auch das Angebot eines Coachings für Führungskräfte kann das Arbeitsklima verändern. Daran zeigt sich, dass das Institut Konflikte und Herausforderungen ernst nimmt und nicht übergeht. Führungskräfte haben in einem Coaching die Möglichkeit, sich ihren Gefühlen zu widmen und sie in einem geschützten Raum zu teilen, aber auch zu transformieren („Warum macht mich dieser Kollege immer so wütend?“, „Warum gehe ich immer frustriert aus den Meetings mit der Geschäftsführung?“).
    • Stille und Meditation: Meditation als stille Achtsamkeitspraxis ermöglicht es, den eigenen Körper und seine Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen. Ein solcher Selbstkontakt ist nicht für jede:n einfach, aber er kann zu mehr Ruhe, Fokussierung und Klarheit hinführen. Es kann auch nur eine kurze, fünf- bis zehnminütige Meditation mit dem Timer im Büro sein.

    Reale Räume

    Um in seinem Inneren Raum zu schaffen für Gefühle und Inner Work, braucht es neben der Akzeptanz und Offenheit auch „reale“ Räume, die dies ermöglichen. Gibt es genug Rückzugsmöglichkeiten, sowohl für den Einzelnen wie auch für vertrauliche Zweiergespräche?

    • Räume für vertrauliche Gespräche: Stehen Räume zur Verfügung, die sich für geschützte, vertrauliche Gespräche eignen, sind sie für alle zu erreichen und nutzbar? Sind diese Räume nicht einsehbar und kann dort ungestört gesprochen werden? Solche Orte sollten nicht nur funktional, sondern auch atmosphärisch anders als große Meetingräume gestaltet sein.
    • Ruhe- und Rückzugsräume dienen der:m Einzelnen zur Kontemplation und Reflexion. Schon ihre bloße Existenz und die offizielle Bezeichnung als solche sind die Legitimation und eine Einladung, sie auch zu nutzen. Überspitzt formuliert: Wer sich zur emotionalen Reflexion auf die Toilette zurückziehen muss, der fühlt sich offenbar nicht eingeladen.
    • Auch Meditations- und Gebetsräume sind für Selbstreflexion und Regeneration gedacht. Gesprächsrunden mit Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen können die Beschäftigten an solche Praktiken heranführen und die kultursensible Gestaltung der Räume fördern.

    Wer sich auf diese inneren und äußeren Räume einlässt, der kann emotionale Klarheit gewinnen. Eine Klarheit, die den Blick auf die Zukunft richtet und Raum schafft für neue Verbindungen und kreative Lösungen. Einfach mal ausprobieren!