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    „Das Büro hat sein Alleinstellungsmerkmal verloren“

    • Illustration

      Büro Ole Scheeren

    • Portrait

      Hannes Jung

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    Gaming in der Bildung, Arbeit in der Smart City und KI-Assistent:innen, die unser Leben kuratieren: New-Work-Expertin und Trendforscherin Birgit Gebhardt wirft einen Blick in die Zukunft der Arbeit.

    1. Petra Schmidt: Sie gelten seit vielen Jahren als führende Expertin für New Work. Was fasziniert Sie an dem Thema?

      Meine Faszination begann vor gut zwölf Jahren mit der Frage, wie neue Kommunikationsformen die Wissensarbeit verändern. Damals drängten die sozialen Medien in die Bürowelt und stellten Abläufe, Prozesse und Zuständigkeiten infrage. Das fand ich spannend, weil es Raum für ein neues Verständnis der Zusammenarbeit eröffnete. Ich möchte diesen Prozess begleiten und Veränderungen anstoßen. Denn es gibt noch viel zu tun.

    2. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern? Was läuft schief in der Bürowelt?

      Vieles. Man hat sich zwar auf zielführende Vokabeln wie „selbstorganisierte Teams“, „aktivitätsorientiertes Arbeiten“ und „Büro als Begegnungsort“ geeinigt, ist aber in der Umsetzung noch sehr am konventionellen Büro und an standardisierten Kennzahlen orientiert. Das Gebäudemanagement denkt beispielsweise an Einsparungen im Betrieb, und die Organisationsentwicklung verharrt in ihren Belegungsmodulen. So bleibt jeder Bereich in seinem traditionellen Denken gefangen und ist noch weit von den heutigen technologischen Möglichkeiten entfernt, die Arbeit interaktiv, intelligent und intuitiv zu gestalten.

    3. Wie könnte man es besser machen?

      Ein modernes Büro sollte nicht nur als physischer Ort verstanden werden, sondern als dynamischer Raum, der die Kommunikation und Zusammenarbeit fördert. Es geht darum, Umgebungen zu schaffen, die flexibel auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen reagieren, und Technik nutzerzentriert zu integrieren. Büros sollten Orte der spontanen Begegnung und des Austauschs sein, unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI) und Augmented Reality (AR), die neue Formen der Interaktion ermöglichen – in denen aber auch die Energie physischer Präsenz spürbar wird.

    4. Sie sind Zukunftsforscherin. Wie müssen wir uns das Büro der Zukunft vorstellen? Welche Rolle spielen dabei KI und AR?

      Das Büro, wie wir es kennen, hat seine Exklusivität als professioneller Arbeitsplatz verloren. Stattdessen diffundiert es in unsere Lebenswelt. Nehmen wir die Hier würde das zum Beispiel bedeuten, dass wir, wenn wir selbstfahrende Autos nutzen, einen riesigen Bildschirm zur Verfügung haben, an dem wir arbeiten können, um dann ganz im Sinne des in einen Besprechungsraum zu wechseln, der in einem Hotel, in einer Bibliothek oder unter freiem Himmel sein kann. Je nachdem, welche Atmosphäre für die Arbeitsabsicht am günstigsten ist. Mit anderen Worten: Die räumliche Umgebung wird wahrscheinlich noch wichtiger werden, aber sie wird nicht mehr unbedingt in einem Bürokomplex zu finden sein. Hinzu kommt: Die Werkzeuge und Arbeitsmittel wie Laptops, Smartphones oder Uhren rücken immer näher an den Menschen heran. Mit Augmented-Reality-Brillen wird sich der Trend zum mobilen Arbeiten noch verstärken.

    5. Wie muss man sich das vorstellen?

      Wissen wird ständig aus der Cloud abrufbar sein, und Arbeitsmittel werden quasi zu erweiterten Sinnesorganen: Das Headset setzt heute schon Prioritäten und öffnet oder schließt Kommunikationsräume. Die AR-Brille gibt mir die Kontrolle und legt quasi eine Schreibtischmaske mit Apps über meine Umgebung. Damit sind wir perfekt ausgestattet und können uns sofort in einen Arbeitsmodus versetzen, Chatbots oder Menschen hinzuziehen, Wissen, Informationen, Ergebnisse oder Hilfe erhalten.

    6. Das heißt, wir bewegen uns in Zukunft nur noch in virtuellen Räumen und nicht mehr in realen?

      Ganz sicher nicht. Denn wir werden bei der Vielfalt der neuen Arbeitsumgebungen merken, dass es doch einen spürbaren Unterschied macht, wo ich mich befinde. Der kanadische Neurowissenschaftler Colin Ellard hat mir in einem Interview deutlich gemacht, dass wir territoriale Wesen sind, die, wenn sie irgendwo ankommen, anfangen, Räume zu besetzen. Sei es das Kind, das eine Höhle baut, oder der Kollege, der ein Foto seiner Familie aufhängt. Das hängt natürlich auch vom Typ ab, aber eine Art Reviermarkierung scheint uns eigen zu sein. Außerdem verbinden wir oft sehr emotionale Erinnerungen mit Orten. Die meisten Menschen wissen zum Beispiel noch genau, wo sie sich zum ersten Mal geküsst haben. Und es funktioniert auch mit schmerzhaften Erfahrungen, sodass Menschen, die die Schule als unangenehm empfunden haben, sich durch eine klassische Seminarbestuhlung genau daran erinnert fühlen. Ellard sprach im Interview auch von einer sozialen Prägung. So fällt es uns zum Beispiel leichter, neue Inhalte von einem Mitglied unserer Peergroup zu lernen als durch Top-Down-Formate der Schule oder Universität.

    7. Wie kann dieser Ansatz räumlich umgesetzt werden? Wie müsste sich die Architektur von Forschungseinrichtungen oder Universitäten verändern, um Partizipation und Austausch zu unterstützen?

      Die Vorlesung könnte online stattfinden, aber im Seminar oder im Labor sollte man sich von Angesicht zu Angesicht treffen. Umgekehrt ist es interessant, dass universitäre Räume wie Bibliotheken von externen Wissensarbeiter:innen geschätzt werden, um dort konzentriert und ungestört arbeiten zu können. Ich spreche jetzt bewusst nicht von Studierenden, sondern von Beschäftigten oder Freischaffenden, die an solchen Umgebungen die unterstützende Arbeitsatmosphäre schätzen.

    8. Lassen Sie uns abschließend über die Zukunft der Arbeit generell sprechen. Wie wird sie in Zukunft aussehen? Was erwartet uns?

      Ein Thema, mit dem ich mich in den letzten Monaten sehr intensiv beschäftigt habe, ist Gaming. Ich glaube, dass diese interaktivste Form der „spielerischen Zusammenarbeit“ für unseren persönlichen Lernfortschritt in Zukunft sehr wichtig werden wird. Die Spieleindustrie versteht die Interaktionsmuster ihrer Nutzer:innen sehr gut und weiß, wann sie mit solchen Angeboten Geld verdienen kann. Die Analyse ist so genau, dass sie unsere individuellen Eigenschaften wie Strategie, Denkmuster und sogar Müdigkeit erkennen kann.

    9. Ist es nicht gefährlich, so viel von sich preiszugeben?

      Spielen hat durchaus negative Seiten. Die Belohnungsmechanismen können süchtig machen, und das lange Sitzen in den Spielsesseln geht mit wenig Bewegung und oft ungesunder Ernährung einher. Ich sehe Gaming eher als Gehirntraining und die Möglichkeit, Spiele für maßgeschneiderte Bildungsangebote zu nutzen. Spiele können nachweislich die Teamarbeit und Kompetenzentwicklung fördern – unabhängig von physischen Orten. Und Spiele können ein Mittel sein, um Reaktionsschnelligkeit, Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit und Kreativität zu trainieren, die wir in Wissenschaft und Wirtschaft immer mehr brauchen.

    10. Und ich dachte, Sie würden jetzt auf KI zu sprechen kommen ...

      KI steckt bereits in Spielen, im Monitoring von Interaktionsmustern, in personalisierten Angeboten und in der Verhaltensanalyse. Sie ist bereits allgegenwärtig. Aber neben den Chatbots und der KI-Assistenz, die wir aus dem Büro kennen, erscheinen mir personalisierte Assistent:innen, gekoppelt an meine Smartwatch oder mein Auto, interessant, weil sie auf Basis meines Terminkalenders den Arbeits- und Lebenskontext miteinander verknüpfen können. Wir alle kennen diese Nudges von Microsoft, die uns zum Beispiel darauf hinweisen, dass wir eine Pause einlegen sollten. Weitere KI-Assistent:innen werden unser Leben organisieren oder besser gesagt „kuratieren“, weil sie uns nach kurzer Zeit besser kennen als wir uns selbst. Diese KIs könnten uns wertvolle Ratschläge geben: An diesem oder jenem Arbeitsplatz warst du eigentlich immer produktiv oder für diese Aufgabe solltest du mal eine ganz andere Umgebung ausprobieren. Oder vielleicht weiß die KI, dass eine Person in der Nähe ist, die für dich und deine Themen gerade besonders relevant sein könnte.

    11. Das klingt praktisch, aber auch nach Gängelung und Kontrolle.

      Klar. Kontrolle ist hier jederzeit möglich. Aber als Trendforscherin ist es meine Aufgabe, neue Szenarien und Modelle zu entwickeln. Schon deshalb muss ich Optimistin sein und das Spektrum der Möglichkeiten ausloten, bevor ich mich Neuem von vornherein verschließe.