Ausdehnung täglicher Arbeitszeit
- Illustration
Vincent Brod
Wer an einzelnen Tagen länger arbeiten will, weil es die Forschungssituation so verlangt, stößt schnell an die Grenzen der gesetzlichen und tariflichen Regelungen. Doch wie ließe sich die Arbeitszeit im Einzelfall auf über zehn Stunden verlängern?
In der Wissenschaft gibt es regelmäßig außergewöhnliche Arbeitsphasen, in denen die Arbeitszeit, die standardmäßig auf acht Stunden pro Tag begrenzt ist, nicht ausreicht. In diesem Erprobungsfeld soll untersucht werden, welche Möglichkeiten es gibt, die Arbeitszeit in besonderen Fällen auf über zehn Stunden zu verlängern, um etwa Projektabschlüsse, Doktorarbeiten oder dringende Forschungsleistungen voranzubringen. Dabei soll die Ausdehnung nicht nur rechtlich legitimiert, sondern auch der langfristige Ausgleich durch Ruhezeiten gewährleistet werden. Besonders wichtig ist es dabei, gesundheitliche Risiken auszuschließen und solche Ausnahmefälle zu dokumentieren.
Erkenntnisinteressen
Auswirkungen auf die Ruhe- und Erholungszeit
Mögliche langfristige gesundheitliche Mehrbelastungen, erhöhte Unfallgefahr sowie messbare Entgrenzungseffekte
Realisierungschancen für einen individuellen Ausgleich an anderen Tagen
Bedarf an Sensibilisierungsmaßnahmen für Beschäftigte und Führungskräfte, um gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu vermeiden
Dokumentierte forschungsbedingte Ausnahmeregelungen, z.B. Antrags- und Projektabschlussphase, Abschluss von Dissertationen, termingebundene Projektarbeit, Publikationsfristen, Forschungsbereiche mit Arbeiten an Mensch und Tier
Nutzung und Angemessenheit von Ausgleichszeiträumen
New Horizons — Zeitsouveränität und -flexibilität (ZuF)
Welche Grenzen sind bisher bekannt?
Arbeitsrechtliche Grenzen
Nach bisher gültiger Rechtsauffassung setzt das Arbeitszeitgesetz in § 3 ArbZG Grenzen: Die tägliche Arbeits-zeit der Beschäftigten darf 8 Stunden nicht überschreiten. Die Ausdehnung auf bis zu 10 Stunden ist nur dann möglich, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
Ausnahmen (> 10 Stunden) sind erlaubt in außergewöhnlichen Fällen (§ 14 ArbZG):
- Unabhängig vom Willen der Betroffenen und nicht auf andere Weise zu beseitigen
- Wenn Rohstoffe/Lebensmittel zu verderben oder Arbeitsergebnisse zu misslingen drohen
- Vorübergehend und nur für eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern
- Bei Forschung und Lehre
- Bei unaufschiebbaren Vor- und Abschlussarbeiten
- Sowie bei unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen / zur Behandlung und Pflege von Tieren an einzelnen Tagen
- Wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen max. 48 Stunden pro Woche im Durchschnitt gearbeitet wird
Faktoren, die zu einer besonderen Ermüdung führen können oder diese verhindern, sollen ermittelt werden. Dazu gehören die Art, Schwierigkeit, Dauer und die Häufigkeit von Pausen sowie der Ausgangszustand der Mitarbeitenden.
Vor der Ausdehnung der täglichen Arbeitszeiten über diese Ausnahmen hinaus müsste daher das Arbeitszeitgesetz modernisiert werden.
Technische Grenzen
Die Erfassung ausgedehnter täglicher Höchstarbeitszeiten erfordert möglicherweise technische Umstellungen in vorhandenen Zeiterfassungssystemen. Beispielsweise müssten automatische Kappungsgrenzen verändert werden. Forschungseinrichtungen könnten demnach mit technischen Herausforderungen konfrontiert sein. Das gilt auch für Apps, die im Wesentlichen durch den Mitarbeitenden selbst genutzt werden und einsehbar sind. Zudem müssen im Zuge dessen Ausgleichszeiträume im jeweiligen Zeiterfassungssystem erfasst werden können, und auch Auswertungen der Arbeitszeit sollten möglich sein, um Differenzbeträge transparent zu machen.
Prozessuale Grenzen
- Eigenverantwortung selbstbestimmter Mitarbeitender
- Vermeidung von mitunter erheblichen bilanziellen Rückstellungen für den Arbeitgeber
Führungs- und teambezogene Grenzen
- Führungskräfte könnten Bedenken haben hinsichtlich ihrer persönlichen Verantwortung und Fürsorgepflicht
- Eine gegenseitige Negativspirale im Team könnte sich entwickeln.
Kulturelle Grenzen
- Bisher möglicherweise geduldete „Illegalität“ in der Praxis und Sogwirkungen durch Kolleg*innen oder Führungskräfte, die das eigene Verhalten beeinflussen
- Unausgesprochene Erwartungen an Erreichbarkeiten oder „Sonderschichten“, die als selbstverständlich erachtet werden
Steuerrechtliche Grenzen
- Nicht bekannt
Sozialversicherungsrechtliche Grenzen
- Nicht bekannt
Tarifvertragliche Grenzen
- Nicht bekannt
Gesundheitliche Grenzen
- Laut der Initiative Neue Qualität der Arbeit sind die Belastungen und die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigungen umso höher, je mehr die Arbeitszeiten über die vereinbarten Regelungen hinausgehen.
- Es gibt Hinweise, dass bereits nach einer 12-Stunden-Schicht eine Erholungsphase von 12 Stunden nicht ausreicht, sodass die Ermüdung mit in den nächsten Tag genommen wird.
Sonstige Grenzen/Hürden
Bisher sind keine weiteren Grenzen/Hürden bekannt.
Handlungsspielraum für den Ausgleichzeitraum:
Innerhalb von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen max. 48 Stunden Wochenarbeitszeit im Durchschnitt
Beispiel:
- Die Arbeit an 5 Werktagen mit 12 Stunden pro Tag entspricht 60 Stunden Wochenarbeitszeit und ist für 4,8 Monate möglich. Daraufhin müssten 1,2 Monate arbeitsfrei sein (→ s. Unterjährige Sabbaticals).
- Die Arbeit an 7 Tagen mit 12 h pro Tag entspricht 84 Stunden Wochenarbeitszeit und ist für 3,4 Monate möglich. Danach müsste eine längere arbeitsfreie Zeit folgen.
Zu welchen anderen Erprobungsfeldern besteht ein enger Bezug?
- Erprobungsfeld: Flexibilisierung Ruhezeit + Ruhepausen
- Erprobungsfeld: Vertrauensarbeitszeit mit Zeiterfassung
Was müssen Forschungseinrichtungen noch berücksichtigen?
Forschungseinrichtungen müssen rechtliche Regelungen wie das Arbeitszeitgesetz (§ 3 und § 14 ArbZG) genau beachten. Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf über zehn Stunden ist nur in außergewöhnlichen Fällen zulässig, etwa bei unaufschiebbaren Arbeiten in Forschung und Lehre. Ebenso muss sichergestellt werden, dass Mitarbeitende die notwendigen Ruhezeiten erhalten, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. Entsprechend sollten Ausgleichszeiträume genau erfasst und Ausnahmefälle zuverlässig dokumentiert werden. Führungskräfte sollten zudem sensibilisiert werden, um missbräuchlichen Arbeitszeitverlängerungen oder gesundheitlichen Überlastungen entgegenzuwirken.
Weiterführende Informationen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz finden Sie auf den Seiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter dem Thema „Arbeitsgestaltung“: www.baua.de