Alles im Grünen Bereich
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Der moderne Arbeitsplatz ist oft geprägt von künstlichen Materialien und nüchternen Interieurs. Doch was wäre, wenn die Natur in unsere Büros einziehen würde? Mit dieser Frage setzt sich das Biophilic Design auseinander.
Die ständige Hektik des Arbeitsalltags zermürbt selbst die Härtesten unter uns. Wir sehnen uns nach einer Atempause, nach einem Moment, um „rauszukommen“, „frische Luft zu schnappen“ und den Kopf freizubekommen. Doch wenn wir ehrlich sind, verbringen wir diese kostbaren Momente viel zu selten in der Natur. Warum aber verspüren wir instinktiv das Bedürfnis, uns im Freien zu entspannen und Stress abzubauen? Und wie lässt sich diese Beobachtung konstruktiv in unseren Arbeitsalltag integrieren? Hier lohnt sich ein Blick auf das Konzept des Biophilic Design, um zu verstehen, wie die Natur, die in unsere Büros einzieht, unsere Arbeit revolutionieren kann.
Die moderne Arbeitswelt hat dazu geführt, dass Menschen den größten Teil ihrer Zeit in Innenräumen verbringen, was die Naturerfahrung limitiert und sich negativ auf das psychische und physische Wohlbefinden auswirkt. Studien zeigen, dass der Kontakt mit Natur und Pflanzen Stress reduziert, die Produktivität steigert und die Stimmung verbessert. Biophilic Design versucht, durch die Integration von Natur und natürlichen Materialien wie Holz, Stein und natürlichem Licht eine harmonische, naturnahe Umgebung zu schaffen, die Stress abbaut und die Leistungsfähigkeit fördert.
Grüne Kraftquelle
So zeigte schon die wegweisende Studie von Marlon Nieuwenhuis und anderen Forschenden aus dem Jahr 2014, dass begrünte Büros die Produktivität der Beschäftigten steigern können.1 Die Forschenden führten damals Feldexperimente durch, um zu untersuchen, wie grüne (pflanzenreiche) und minimalistische Büros das Wohlbefinden und die Produktivität beeinflussen. In zunächst schlicht eingerichteten Büros stellten sie Pflanzen auf und erhoben anschließend die Einschätzungen der Mitarbeitenden zu Produktivität und Wohlbefinden im Vergleich zur pflanzenlosen, minimalistischen Umgebung. Die Fragebögen erfassten die wahrgenommene Luftqualität, Konzentration und Arbeitszufriedenheit. Die Forschenden sehen großes Potenzial in begrünten Büroumgebungen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Einführung von Pflanzen in nüchterne Büroumgebungen die Produktivität der Mitarbeitenden um 15 Prozent steigert, was darauf hindeutet, dass Grünpflanzen den Arbeitsplatz menschlicher und produktiver machen können.“
Spätere Studien stützen diese These ebenfalls, etwa die 2022 veröffentlichte Studie des Teams um Quinghua Lei mit Forschenden aus China und Singapur.2 Sie evaluierten die Auswirkungen von Biophilic Design auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mitarbeitenden in Büros in Singapur und Shenzhen. Mithilfe eines Fragebogens und Feldbeobachtungen wurden biophile Designattribute wie Pflanzen, natürliche Beleuchtung und Luftqualität untersucht. Die Teilnehmenden beantworteten Fragen zu ihrem allgemeinen Wohlbefinden, ihrer Naturverbundenheit und ihrer Einschätzung der Bürogestaltung. Die Ergebnisse zeigten, dass natürliche Farben und Pflanzen als besonders wichtige biophile Elemente wahrgenommen wurden und das Wohlbefinden signifikant verbesserten. Selbst Büroräume mit natürlichen Holzoberflächen verbessern die Arbeitsatmosphäre und bauen Stress ab. Dies hat wiederum eine finnische Forschergruppe 2023 in einer Studie festgestellt.3
Und natürlich können auch einfache Topfpflanzen Stress abbauen. Das zeigte Julia A. Sánchez mit ihrem Forscherteam.4 Sie stellten typische Büropflanzen wie Bogenhanf oder Drachenbaum in Büros auf und entfernten sie immer wieder für eine gewisse Zeit. Bei Befragungen stellten die Forschenden fest, dass die Beschäftigten ihre Aufgaben als „weniger groß und unübersichtlich“ einschätzten, wenn sie von Pflanzen umgeben waren.
Bei der Umsetzung einer biophilen Gestaltung mit Pflanzen im Büro sind auch praktische Aspekte zu berücksichtigen. Die Pflanzen benötigen nicht nur Investitionen und Pflege, sondern auch eine genaue Planung, damit sie sich in der Büroumgebung gut entwickeln können.
- Ressourcenfrage: Wer übernimmt die Pflege? Wie intensiv? Wie viel Zeit muss dafür eingeplant werden? Welche Kosten entstehen?
- Frage der Lichtverhältnisse: Ist ausreichend Tageslicht vorhanden? Müssen zusätzliche Pflanzenleuchten installiert werden?
- Frage der Bedürfnisse: Welche Ansprüche haben die verschiedenen Pflanzen? Wird der Nutzungsraum diesen gerecht? Wie viel Platz steht zur Verfügung? Mit welchem Wachstum ist zu rechnen?
Nicht nur Topfpflanzen steigern die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden, sondern natürlich auch die Natur selbst. Dass sich Arbeitnehmende durch Outdoor-Aktivitäten wie Aufenthalte im eigenen Garten oder auf dem Balkon sehr gut regenerieren, ist intuitiv erklärbar, wird aber auch durch eine Studie der Universität Groningen aus dem Jahr 2017 untermauert.5 Die Forschenden zeigten, dass Naturerfahrungen sowohl im Arbeits- als auch im Wohnumfeld signifikant positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben. Insbesondere der Blick aus dem Fenster in die Natur und das Vorhandensein von Zimmerpflanzen waren mit einem höheren Wohlbefinden und geringeren Stresswerten verbunden. Auch regelmäßige Aktivitäten im Freien wirkten sich positiv auf die psychische Gesundheit aus. Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass „körperliche Aktivität in der Freizeit in einer natürlichen Umgebung eine potenzielle Strategie zur Steigerung der Vitalität von Arbeitnehmenden darstellt“.
Grünpflanzen vs. Luftreiniger
Nur was die luftreinigende Wirkung von Pflanzen anbelangt, gehen die Meinungen auseinander. Während unzählige Artikel von Produzenten, Gartenblogs und Home-Deco-Magazinen versprechen, dass Pflanzen für saubere Luft sorgen und Schadstoffe wie flüchtige organische Verbindungen (VOCs) aus der Luft filtern, kommen Bryan E. Cummings und Michael S. Waring zu einem eher ernüchternden Ergebnis.6 Die beiden haben die zugrunde liegenden Studien der letzten Jahre und auch die historische Untersuchung der NASA von 19897 genauer unter die Lupe genommen, die zeigen, dass Pflanzen unter bestimmten Voraussetzungen Luft reinigen können. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Pflanzen zwar in kleinen Kammern unter Laborbedingungen die Luft reinigen, aber eben nur dort. In den viel größeren Büroräumen können sie nicht mit der herkömmlichen Technologie eines Luftreinigers konkurrieren. „Pflanzen entfernen VOCs, aber sie tun es so langsam, dass sie mit den normalen Luftaustauschmechanismen in einem Gebäude nicht mithalten können“, erklärt Waring in der Zeitschrift National Geographic.8 Das ist ernüchternd und erhellend zugleich. Zumindest in Deutschland, wo es kaum fensterlose Büros gibt, sollte man daher besser auf einen bereits eingeübten Austauschmechanismus zurückgreifen: Fenster auf und Luft rein!
Footnotes
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Nieuwenhuis, Marlon et al. (2014). The Relative Benefits of Green versus Lean Office Space. Three Field Experiments. In: Journal of Experimental Psychology Applied 20, Nr. 3. https://doi.org/10.1037/xap0000024 ↩
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Lei, Qinghua et al. (2022). Post-Occupancy Evaluation of the Biophilic Design in the Workplace for Health and Wellbeing. In: Buildings 12, Nr. 4, 417. https://doi.org/10.3390/buildings12040417 ↩
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Ojala, Ann et al. (2023). Psychological and physiological effects of a wooden office room on human well-being: Results from a randomized controlled trial. In: Journal of Environmental Psychology 89. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2023.102059 ↩
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Sánchez, Julia Ayuso et al. (2018). Quantitative improvement in workplace performance through biophilic design: A pilot experiment case study. In: Energy and Buildings 177, 316–328. https://doi.org/10.1016/j.enbuild.2018.07.065 ↩
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De Bloom, Jessica et al. (2017). Nature at home and at work: Naturally good? Links between window views, indoor plants, outdoor activities and employee well-being over one year. In: Landscape and Urban Planning 160, 38–47. https://doi.org/10.1016/j.landurbplan.2016.12.005 ↩
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Cummings, Bryan E. und Michael S. Waring (2020). Potted plants do not improve indoor air quality: a review and analysis of reported VOC removal efficiencies. In: Journal of Exposure Science & Environmental Epidemiology 30, 253–261. https://doi.org/10.1038/s41370-019-0175-9 ↩
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Wolverton, B. C. et al. (1989). Interior Landscape Plants for Indoor Air Pollution Abatement. In: NASA Technical Reports Server. https://ntrs.nasa.gov/citations/19930073077 ↩
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Gibbens, Sarah (2019). Leere Werbeversprechen: Pflanzen sind schlechte Luftreiniger. In: National Geographic (18.11.2019). https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2019/11/leere-werbeversprechen-pflanzen-sind-schlechte-luftreiniger ↩